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Metamorphosen

Text von Dr. Dietmar Schuth, Kunsthistoriker Heidelberg

Die Kunst der Ute Vauk-Ogawa wird seit vielen Jahren ganz unverwechselbar von überwiegend einem Material beherrscht: Hanf. Dabei handelt es sich um die natürlichen Fasern der Cannabis-Pflanze, die die Künstlerin mit meist leuchtenden Farben färbt, in mehr oder weniger gegenständliche dreidimensionale Formen bringt und oft mit einem Kunststoff in der gewünschten Form härtet. Dieser Kunststoff aber bleibt unsichtbar, so dass das Material seinen optischen wie haptischen Charakter bewahrt, seine oft textile oder an Papier erinnernde Anmutung.

„Rote Quellen“ heißt eine Wandinstallation, die jene Hanffasern im Rohzustand aus der Wand herausschauen lässt. In einem intensiven Rot gefärbt, erinnern sie an ungekämmte Haarschöpfe, vielleicht auch an animalische Trophäen oder Indianerskalps. Eine runde weiße Form fasst diese Büschel zusammen wie der Ring um einen Haarzopf. Schaut man genauer auf die Form und liest man den Titel, erinnert man sich an eine Schubrosette, mit der ein Installateur die Mündung eines Rohrs in die Wand kaschiert. Hier aber gibt es kein Rohr, das „Wasser“ dringt ungeleitet, ungezügelt aus der Wand. Es ist rot wie Blut und täuscht das Auge, beschäftigt die Phantasie, die freilich keine logische Deutung finden kann. Die „Roten Quellen“ der Ute Vauk-Ogawa sind geheimnisvolle Objekte, die über eine rein ästhetische Betrachtung hinaus, eine verborgene Symbolik zu besitzen scheinen. In einer anderen Ausstellung platzierte die Künstlerin diese Objekte an den Wänden eines Bade- und eines Schlafzimmers, den intimsten Orten einer Wohnung, so dass sich die Assoziationen von Blut und Haaren zu einem gleichermaßen erotischen wie bedrohlichen Rätsel verbanden.

Die Beziehung des von Ute Vauk-Ogawa favorisierten Materials zum Menschlichen wird in den jüngsten Installationen immer deutlicher. Waren bislang Assoziationen an menschliches Haar oder Blut nur eine Option, wird nun der Mensch als figurative Form deutlich erkennbar. In der Installation „Tänzer“ erwachsen menschliche Figuren aus einem sonnengelben Hanf und werden durch jenen unsichtbaren Kunststoff in ihrer anthropomorphen Form fixiert.

In einer ganzen Reihe von Figuren spielt die Künstlerin die verschiedensten Formen des plastischen Menschenbildes durch. Sie variiert die Stand- und Bewegungsmotive, lässt die Figuren stehen, knien, sitzen, sich bücken, auf allen Vieren kriechen bis hin zu sehr tänzerischen Gesten. Doch obwohl jede Figur sich in eine ganz individuelle Posen wirft, ist keine Figur wirklich frei. Jedem Tänzer haftet noch ein Stück Hanffaser an, wie der Flaum eines jungen Vogels, vielleicht auch wie eine Nabelschnur. Denn die Figuren scheinen wie gerade erst erschaffen, wie einst in der Bibel aus einem Klumpen Lehm, noch nicht ganz fertig und vollkommen. In diesem Sinne lässt sich die Installation „Tänzer“ als eine Allegorie auf das Leben lesen, das aus einer amorphen Materie erwächst und nach einer individuellen Form sucht. Kehrt man die zeitliche Perspektive um, kann man in diesen Figuren auch Metaphern für die Sterblichkeit des Lebens erkennen, das sich wie in einem verzweifelten Totentanz in seine amorphe Grundmaterie zurück verwandel: Asche zu Asche, Staub zu Staub.

Sehr ähnlich zu den „Tänzern“ erscheint die Wandinstallation „Downwards“, nicht aus Hanf, sondern aus Eisendraht, Acryl und Pigmenten. Die leuchtend gelben Figuren tanzen aber nicht mehr, sie haben den Boden verlassen und stürzen nun in einen Raum hinab. Die Bewegungsmotive sind jetzt noch individueller und erinnern an die anatomisch stark verkürzten Disegnos barocker Deckenmalerei. Während die „Tänzer“ fast wie gotische Figuren in einem mittelalterlichen Totentanzfresko erscheinen, lässt sich nun eher an ein Höllensturz-Gemälde denken, das von einem Michelangelo oder einem ihm nachfolgenden Barockmaler in großer Dramatik inszeniert wird. Man kann auch an das in der Kunstgeschichte seltene Sujet des Engelsturzes denken, der den Sturz des einst lichtvollen, so doch für seine Hybris bestraften Engels Luzifer mit seinen Anhängern darstellt. Konnte man bei den Tänzern noch eine Aufbruchsstimmung erkennen, eine Art Befreiungsakt, muss man bei „Downwards“ eher an ein Ende aller Individualität, ja sogar an ein tödliches Stürzen und Sterben denken.

Noch unheilvoller erscheint die vierte Installation dieser Ausstellung: „Unterwegs“. Schwarz ist die Farbe des Todes und schwarz sind die Gespinste aus Hanf, die die Künstlerin wie Fesseln um einen menschlichen Körper legt. Dieser Körper jedoch ist ein Hohlraum, ähnlich den Gipsabgüssen, die man einst in dem vom Vulkanausbruch 79. n. Chr. verschütteten Pompeji machte, als man die Hohlräume der erkalteten Lava ausgoss und somit die Körper der hier erstickten Menschen wieder sichtbar machte.

Vergleicht man alle drei figurativen Installationen dieser Ausstellung, muss man die letzte doch als eine pessimistische Parabel auf das Leben verstehen. Die Fesseln aus Hanf symbolisieren die Zwänge des Menschen, der in seinem Gang durchs Leben zu einem gedemütigten Kriechtier mutiert. Dies gilt vor allem für den konform lebenden Menschen, denn die Figuren der Ute Vauk-Ogawa sind bei dieser Installation jeweils identisch und lassen sich so als eine soziale Allegorie lesen. Hoffnungsvoller dagegen erscheinen die sonnigen „Tänzer“, die immerhin die Individualität anstreben und so dem gelben Licht sehr nahe kommen. Doch birgt diese Individualität auch die Gefahr der Hybris, wie in der zweiten Installation von Ute Vauk-Ogawa deutlich wird: man kann wie Ikarus in den Metamorphosen des Ovid der Sonne auch zu nahe kommen.

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